Trisomie 21: ist sie eigentlich eine Krankheit und kann sie geheilt werden?

Trisomie 21 ist ein genetisch bedingter pathologischer Zustand, bei dem viele Bereiche im Körper betroffen sind. Die Betroffenen können trotzdem ein normales Leben führen. Das Problem dabei ist aber die kognitive Behinderung, die oft mit gesellschaftlichen Stigmata und Einschränkgungen verbunden ist.

In einer wissenschaftlichen Interessengruppe auf Facebook, in der harte, kein Spaß verstehende wissenschaftliche Fakten eine Lebensessenz sind, wurde ein interessanter Beitrag über die Trisomie 21 (Down-Syndrom) gepostet. Dieser Beitrag machte mich auf eine Original-Publikation aufmerksam, die vor kurzem veröffentlicht wurde und die ich spannend fand. Es geht darum, dass die Forscher an den Trisomie 21-Mausmodelen zeigen konnten, dass man Trisomie 21 pharmakologisch "therapieren" kann und der beschriebene therapeutische Ansatz ist vielversprechend.

Die Original-Publikation findet ihr hier. Einen Beitrag, der diese Original-Publikation kurz und verständlich zusammenfasst, findet ihr hier.

In dieser Publikation wurde gezeigt, dass in den Trisomie 21-Mausmodelen eine zelluläre Überkompensation stattfindet und diese Überkompensation ist die physiologische Reaktion der Zellen auf das zusätzliche Chromosom darstellt. Das ist eine sehr gute Nachricht, weil man hier pharmakologisch eingreifen kann. Diese Forschergruppe hat dies auch getan und die kognitive Leistung um 39-40% verbessert.

Eine Wissenschaftsenthusiastin in dieser Facebook-Gruppe nahm die soziale Implikationen dieser Publikation sehr zu Herzen und wir hatten einen kurzen Austausch, in der es eher um die soziale Aspekte für die Betroffenen ging.

Im Weiteren: FS = Fragestellerin. Checkt meine Skills im teils ungefragten Mansplaining!

FS: Ist denn diese (sehr vage beschriebene) abweichende Eiweißproduktion im Hippocampus auf DS beschränkt?
Denn um eine lebenslange Medikation mit solchen Mitteln scheint es sich ja zu drehen. Bin nicht ganz sicher, ob das ich das gut finde. Ob diese Behinderung eine "Krankheit" ist, da bin ich auch nicht sicher.

Ich: Down-Syndrom wird nicht als Krankheit bezeichnet. Down Syndrom ist eigentlich ein alter Begriff, kein guter finde ich. Trisomie 21 ist eine korrekte Bezeichnung. Das Problem mit der alten Bezeichnung ist eigentlich ein absurdes: Down ist der Nachnahme der Person, die DS beschrieben hat. Aber gleichzeitig hat Down auch noch eine andere Bedeutung im Englischen....unglücklich.

Es ist gar nicht vage beschrieben. Es ist nur in diesem ersten zusammenfassenden Artikel vage beschrieben. Die eigentliche Original-Publikation ist extrem präzise. Sie haben die Aktivität des gesamten Genoms auf der Ebene jedes einzelnes Gens analysiert und identifiziert, das im DS involviert ist. Das wären etwa 460 Gene. Gleichzeitig haben sie die Aktivität der Proteinprodukte dieser Gene untersucht. Noch präziser geht es nicht.

Und ja, in dieser Studie war der Fokus auf die Kognition bei der Trisomie 21 und somit sind die beschriebene Unterschiede bei der Proteinproduktion in DS sind auf Hippocampus beschränkt (zum Glück). Man muss hier auch noch bedenken, dass sie, wie gesagt, den Schwerpunkt auf die Kognition gelegt haben, aber das ist der Hauptteil dessen, was kognitive Aspekte bei Trisomie 21 ausmacht, von daher bin ich von deren Methodik überzeugt.

FS:  Der letzte Teil und die Frage stammte von Erfahrungen mit Autisten, die zum allergrößten Teil nicht anders sein möchten und zu Furien werden, wenn jemand mit dem Wort "Heilung" daherkommt. (Diese Frage war an eine andere Person gerichtet, aber ich bin zuvorgekommen und ich bin ohnehin gut im ungefragten Mansplainig)

Ich: Das ist ein ziemlich sensibles Thema. Menschen mit Trisomien würde ich jetzt nicht unbedingt mit Autisten vergleichen.
Generell gilt eigentlich, dass das Problem nicht per se am Fakt einer Behinderung liegt, sondern am irrationalem gesellschaftlichem Stigma liegt, das eigentlich sowas von zeitlich überholt ist aber gleichzeitig so fest im Bewusstsein der vielen Menschen verankert ist, dass es einen wütend macht. Solche Stigmata verursachen am meisten Probleme.

Die Menschen mit DS sind in der Tat glücklich, nicht alle, aber sehr viele. Es kommt aber zu einem zusätzlichem Problem dabei: die körperliche Behinderungen können je nach Schweregrad mehr oder weniger kompensiert werden. Eine kogntive Behinderung nicht. Aus diesem Grund ist diese Original-Publikation besonders, weil sie gezeigt hat, dass es doch möglich ist. Ich war von dieser Studie auch ziemlich überrascht und habe grad ein Paar Stunden verbracht, um mich in die Substanz reinzulesen.

FS: Und wie verhält es sich mit bereits bekannten Gedächtnis- und leistungssteigernden Medikamenten?

Ich: hier sind es keine Gedächtnis- und leistungssteigernde Medikamente. Bei Trisomie 21 ist die zelluläre Antwort auf ein zusätzliches Chromosom übertrieben stark. So stark, dass sie nicht nur die Aktivität der Gene auf diesem zusätzlichen Chromosom einschränken, sondern so weit runterdrücken, dass schon die physiologisch normale Aktivität der normalen Anzahl der Gene weiter mit runtergedrückt wurde. Es ist eine stark überschießende Reaktion eines zellulären Schutzmechanismus. Was in der Studie passierte ist, die Forscher haben dieses Reaktionsmechanismus gehemmt, was dazu führte, dass die normale physiologische Genaktivität wiederhergestellt wurde. Nicht vollständig zwar, aber um 40% verbessert. Das ist eine Menge.

Diese Studie hat gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, kognitive Behinderungen zu "lindern", was schon impliziert, dass man sie sogar heilen kann. Nicht alle Formen der kognitiven Behinderungen, aber zumindest einige, bei denen eine zelluläre Überkompensation stattfinden. Ich finde, es ist sehr gut!
Ruinierten Nervenzellen wie bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen kann man nicht widerherstellen (noch nicht). Aber diese Studie hat gezeigt, dass bei Trisomie 21 mit ihrer genetisch bedingten kognitiven Störung eine zelluläre Überkompensation stattfindet und das ist eine sehr gute Nachricht, weil man hier direkt eingreifen kann.

FS: Ist es denn eine Art "Heilung", die dort lockt?

Ich: Kommt darauf an, wie du "Heilung" definierst. Trisomie 21 wird definitiv nicht geheilt, denn hier ist ganzes Chromosom mit seinen Genen zu viel. Rein technisch ist es momentan nicht möglich. Es wird erst in den nächsten 15-20 Jahren klar, inwiefern es zumindest theoretisch möglich ist
Wären es nur defekten Gene, wäre es einfacher. Bei den Mäusen ist das kein Problem. Bei den Menschen sind genetische Manipulationen während des embryonalen Stadiums gesetzlich ausdrücklich verboten, aber man arbeitet an Methoden, wie man die Wirkstoffe in die Zellen auf pharmakologischem Weg einbringen und die genetische Defekte reparieren kann.

FS: Oder ist es vielmehr eine medikamentöse Dauertherapie? "

Ich: Jepp :-)

FS: Und hast du etwas gefunden zur Einzigartigkeit dieses Eiweißproblems bei Trisomie 21?

Ich: Auf der Ebene der mRNA: 312 Gene sind runter reguliert, 153 Gene sind hoch reguliert. Auf der Ebene der Proteine: 412 Proteine werden unterproduziert, 250 Proteine werden überproduziert.

Bei der Trisomie 21 ist ein so genannter integrated stress response extrem aktiv. Das ist ein Mechanismus, der erst dann eingreift, wenn die Proteinproduktion von der zellulären Norm stark abweicht. Es ist ein Schutzmechanismus. Bei der Trisomie 21 ist dieser Mechanismus extrem aktiv und überkompensiert. Wenn man diesen Mechanismus hemmt, wird der Defizit im Langzeitgedächtnis und synaptischer Plastitizität wiederhergestellt. Im Rahmen dieser Arbeit betrug die Wiederherstellung 39-40% in den Trisomie 21-Mausmodellen bei stark ausgeprägtem Syndrom.

Gleichzeitig, die Inhibition von diesem Mechanismus normalisiert die Genaktivität und somit die Proteinproduktion.

Wenn dieser Mechanismus aktiv ist, stört das die Aktivität der Neuronen, in dem es deren synaptische Aktivität inhibiert. Inhibierung der synaptischen Aktivität = reduzierter und/oder gestörte Signalübertragung. Hemmt man diesen Mechanismus, wird die synaptische Aktivität wieder normal, wie es sich gehört.

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