Trisomie 21 - ein neuer Versuch


Trisomie 21 ist eine genetische Kondition mit einem extra Chromosom. In der Gesellschaft wird diese Kondition mit viel uralten Stigmata belegt. Sogar die Medizin betrachtet es als eine Krankheit, die unbedingt einer Heilung bedarf

Mir ist mitgeteilt worden, dass eines meiner Posts zum Thema Trisomie 21 sehr chaotisch wirkt und die Leser nur noch irritiert und verwirrt. Das ist gar nicht gut und das muss ich sofort ändern. Ausserdem liegt es mir sehr am Herzen, dass der Inhalt meiner Posts möglichst unverfälscht ist und ich die Kernaussage besser kommunizieren kann. Dieses Mal will ich es besser machen.

Eine kurze Hintergrundinfo, worum es eigentlich geht:
Ich habe vor einem Monat meine Unterhaltung mit einer Person gepostet. Diese Unterhaltung ist in einer wissenschaftlichen Interessengruppe auf Facebook stattgefunden, in der wissenschaftlichen Fakten und Quellenangaben die einzige akzeptable Kommunikationsform ist. Die Deutschen sind bekanntlich humorlos und die Wissenschaft in Deutschland entspricht voll und ganz den deutschen DIN-Normen der Humorlosigkeit.

Der Auslöser dieser Unterhaltung war ein interessanter Artikel über die Trisomie 21. Ich bin auf diesen Artikel in der wissenschaftlichen Facebook-Gruppe aufmerksam geworden. Hier ist der englische Originalartikel, um den es geht. Einen deutschsprachigen Artikel in dieser Qualität gibt es soweit nicht. Der Artikel berichtet über eine Forschungsarbeit, die vor kurzem veröffentlicht wurde. Was die Forscher dort gezeigt haben, hat eine sehr wichtige klinische Implikation und kann sogar gesellschaftliche Folgen in kommenden Jahren haben. Leider erscheinen Berichte über solche Arbeiten auf dem Radar der deutschen Schlagzeilen-Medien kaum. Ich fand diese Arbeit sehr spannend.

Kurze Zusammenfassung dieser Arbeit und ihrer Bedeutung:
Trisomie 21 ist eine genetische Kondition, die einen Chromosom zu viel hat: drei mal Chromosom 21 anstatt zwei. Ein Chromosom zu viel bedeutet, dass die Zellen wegen dem drittem Chromosom extra genetisches Material haben, was mehr ist, als biologisch vorgesehen. Da Gene für Proteine kodieren, extra genetisches Material führt dazu, dass viel mehr Proteine hergestellt werden und die Zellen diese Proteinflut nicht kontrollieren können. Wenn die Zellen irgendwas nicht kontrollieren können, versuchen sie ihren pathologischen Zustand durch eine Überkompensation noch zurechtzubiegen. Das alles führt zu den klassischen Eigenschaften der Trisomie 21, die individuell in ihrem Ausprägungsgrad variieren. Genetische Konditionen lassen sich nicht umkehren, da sie ja im Genom fest verdrahtet sind. Die eventuellen gesundheitlichen Folgen einer genetischen Kondition, je nach Form dieser Kondition, lassen sich aber je nach Schweregrad therapeutisch kompensieren und somit kann ein selbstbestimmtes Leben geführt werden. Und das ist jetzt genau der Punkt, an dem die erwähnte Forschungsarbeit ihre Bedeutung hat.

Die Forscher haben vorerst an den Mäusen herausgefunden, dass bei Trisomie 21 eine zelluläre Überkompensation stattfindet. Die zelluläre Überkompensation ist eine gute Nachricht, weil man hier pharmakologisch eingreifen kann. Die Forscher haben es auch getan und gezeigt, dass dabei die kognitive Leistung bei Trisomie 21 mit pharmakologischen Hilfe um 39-40% verbessert wird.

Und was ist jetzt das Problem?
Ich hatte einen Austausch mit einer Person, die sich um einige Aspekte Sorgen machte und mir dazu folgende Fragen gestellt hat:

  1. Ist das jetzt eine neue gedächtnis- und leistungssteigernde Substanz?
  2. Ist das jetzt eine Heilung, die hier lockt?

Die erste Frage:
Nein. Das ist kein Mittel, das Gedächtnis und die kognitive Leistung steigert.
Bei Trisomie 21 reagieren die Zellen auf das zusätzliche Chromosom, in dem die Zellen die Aktivität des zusätzlichen Chromosoms stark unterdrücken. Diese Unterdrückung ist ein Schutzmechanismus der Zellen, die bei Trisomie 21 so weit überschießt, dass sogar die Aktivität der normalen Chromosomen mit runtergedrückt werden. Was in der erwähnten Forschungsarbeit passierte ist, die Forscher haben diesen Schutzmechanismus gehemmt. Und diese Hemmung führte dazu, dass die normale physiologische Aktivität der Chromosomen wiederhergestellt wurde. Zwar nicht vollständig wiederhergestellt, aber immerhin um etwa 40% verbessert. Schon diese Verbesserung hatte eine deutliche positive Auswirkung auf die kognitive Leistung.

Die Wirksubstanz, von der die Rede ist, hemmt diesen Schutzmechanismus.  Der Wirkstoff ist ein Hemmer.

Welche Bedeutung hat dann diese Forschungsarbeit? Das ist ein direkter Beweis, dass es möglich ist, kognitive Behinderungen zu verbessern, die als Folge einer genetischen Kondition entstehen, in diesem Fall ist es Trisomie 21. Und wenn man ehrlich ist, je nach dem, wie stark kognitive Behinderungen ausgeprägt sind, können sie ein Hindernis für ein selbstständiges und selbstbestimmendes Leben sein, vor allem in der heutigen Gesellschaft. Eine Verbesserungmöglichkeit ist doch eine gute Nachricht!

Und jetzt zur zweiten Frage:
Ob das eine Heilung ist, die hier lockt... . Es ist subtil und auf den ersten Blick recht unsichtbar, aber diese Frage hat eine andere Bedeutung, die nicht medizinischer, sondern gesellschaftlicher bzw. sozialer Natur ist. Ich persönlich habe ein Problem mit dem Wort "Heilung" in diesem Zusammenhang.

Um auf die gestellte Frage direkt einzugehen: nein, es ist keine Heilung der Trisomie 21. Trisomie 21 ist eine genetische Kondition und das Problem liegt auf der chromosomalen Ebene und beginnt bereits während der embryonalen Entwicklung. So weit ist die Medizin nicht.

Zurück zum Wort "Heilung".
Es ist ein sensibles Thema, weil es darauf ankommt, wie man das Wort "Heilung" definiert und in welchem Kontext man es verwendet. Sensibel in dem Sinne, weil die heutige Gesellschaft ziemlich willkürlich mit der Sprache und den Begriffen umgeht, was dazu führt, dass die Bedeutungen verdreht werden und die verdrehten Bedeutungen sich tief im Bewusstsein vieler Menschen verankern. So tief und fest verankert, dass man sie nicht mehr wegbekommt. Das führt viel zu oft dazu, dass alles der Einfachheit halber in einen Topf geworfen und allgemein als Krankheit pauschalisiert wird: Trisomie 21, Schnupfen, Gehörlosigkeit, Reizdarm, Zerebralparese, Hexenschuss, klinische Depression, niedergeschlagene Stimmung am Ende eines Urlaubs und so weiter und so fort.

Die Bedeutung des Wortes ändert sich je nach Kontext: ist die Rede von einer Erkrankung, die man sich eingefangen hat und man behandeln muss? Oder ist die Rede von einem Mensch, der mit Trisomie 21 oder einer Zerebralparese oder einer Gehörlosigkeit auf die Welt kam?

Wenn die Rede von einer Erkältung oder Krebs ist, dann ja, das Wort "Heilung" hat die korrekte Bedeutung im medizinischen Sinne. Ist die Rede von Trisomie 21, was soll man denn hier heilen? Trisomie 21 ist keine Krankheit. Es ist eine genetische Kondition mit den typischen Eigenschaften, die damit einhergehen. Dass Trisomie 21 in der Gesellschaft mit so viel nervigen Stigmata belegt ist, liegt nicht an der Trisomie 21 sondern an der Gesellschaft selbst, von der ja all die ganzen Stigmata stammen. Die Menschen mit Trisomie 21 sind gut in der Lage selbstbestimmend und selbstständig zu leben. Die Gesellschaft, mit ihren grassierenden Mentalität und der Denkweise, lässt es aber nicht zu.

Hast du eine andere Erfahrung gemacht? Denkst du anders? Kommentiere diesen Post und lass uns austauschen.

Kommentare

  1. Hallo, wirklich ein schöner Beitrag. Dein wertschätzender Umgang mit dem Thema Trisomie 21 gefällt mir sehr. Mich würde interessieren warum es zu dieser Überkompensation kommt. Bei zwei X chromosomen z.b. Ist ja auch eins inaktiv und eins aktiv, und das sehr unproblematisch. Warum wird dann bei 3 Mal dem 21. Chromosom so überkompensiert?

    Du hat nach eigenen Erfahrungen gefragt und ich hab eine Tochter mit Down Syndrom, sie ist jetzt 4 Jahre alt und altersgerecht entwickelt wie andere Kinder in ihrem Alter. Mir ist aufgefallen, dass ihr Entwicklung sehr sehr stark von unserer Ernährung abhängt. Sie braucht mehr Nährstoffe, deshalb ernähren bieten wir viele Lebensmittel an die eine hohe Nährstoffdichte haben und versuchen Lebensmittel zu vermeiden, deren Nährstoffdichte gering ist. Ihr Appetit und Essverhalten passen sehr gut dazu.

    Liebe Grüße,
    Monique

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  2. Hallo Monique!

    Mein erster Kommentar und gleich ein netter dazu! Danke für die warme Worte! Dass Deine Tochter mit Down Syndrom sich trotzdem altersgerecht entwickelt ist absolut super! Dass Deine Tochter bzw. ihre Entwicklung auf die Ernährung sehr empfindlich anspricht, hat Gründe und diese Gründe liegen mindestens zu 50% am Nährwert der Ernährung. Das ist ein Problem bei der industriell prozessierten Lebensmitteln, dass sie zu wenig Nährwert haben. Ich bin ein Biomediziner und kann deine Beobachtungen und Erfahrungen bestätigen.

    Auf deine Frage würde ich gerne ausführlich angehen. Das wird jetzt Biologie-lästig. Mal schauen wie gut es mir gelingt:

    Eine Zelle hat in physiologisch normalem Zustand immer 2 Kopien von jedem Chromosom. Eines von den beiden wird von der Zelle deaktiviert. Welches Chromosom von den beiden es trifft, ist immer zufällig. Das zusätzliche Chromosom wird nicht deaktiviert, weil die Deaktivierungs-Mechanismen der Zelle es nicht erkennen, dass hier ein extra Chromosom aktiv ist. Warum genau das passiert, weiß man momentan nicht so recht und ist ein Gegenstand der Forschung. Aber man kommt schon gut voran in der Forschung. Nur zur Info: 2013 ist den US-Forscher gelungen, das zusätzliche Chromosom "manuell" stillzulegen. Das ist schon ein Fortschritt :-)

    Wegen der Überkompensation:

    diese Überkompensation ist ein Schutzmechanismus der Zellen, mit dem die Zellen auf Stresstimuli egal welcher Art anworten.
    Beim Down Syndrom ist ein sogennanter Integrierte Stress-Antwort (integrated stress response = ISR) aktiv. Dieser ISR spring an, wenn die Zelle dauerhaften Stress hat. Dieser Stress kann unterschiedlicher Natur sein: zuviel Stoffe in der Umgebung, agressive Substanzen in der Zelle oder in der Umgebung der Zellen, zu viel oder zu wenig Proteine werden hergestellt. Auf jede Abweichung von der physiologischen Norm reagieren die Zellen mit dieser Überkompensation. Z.B. wird in der Zelle zu wenig Protein produziert, überkompensiert die Zelle, in dem sie die Produktion von diesem Protein stark ankurbelt.

    Beim Down Syndrom ist dieser ISR extrem aktiv, weil das extra Chromosom nicht deaktiviert ist und alle Gene auf diesem Chromosom aktiv sind. Zu viel gleiche Gene sind gleichzeitig aktiv. Es scheint, dass ISR der Aktivität des extra Chromosom hinterhinkt. Und es entsteht ein Teufelskreis: ISR reagiert auf das extra Chromosom, kann es aber nicht so recht in den Griff kriegen, also reagiert ISR noch stärker und es entsteht ein teuflischer Verstärkungskreis.

    Beim Down Syndrom kommt jetzt wegen dem zu starken Aktivität von ISR zu einem zusätzlichem Problem: ISR ist chronisch überaktiv. Das stört die normale Funktion der Zellen. Zusätzlich wird die normale Aktivität der Nervenzellen gestört und die Nervenzellen entwickeln sich langsamer als sonst. Und wieder zusätzlich stört ISR die Kommunikation zwischen den Nervenzellen.

    Und das ist der aktuelle Forschungsstand.

    Liebe Grüße
    Dmitri/The Molecule Guy

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