Teil 2 - Der menschliche Faktor bei "Warum ist die biomedizinische Forschung so schwer?"

Die biomedizinische Forschung ist schwer und zeitaufwendig. Das Problem hat zwei Seiten, die wissenschaftliche Seite und der menschliche Faktor. In diesem Artikel wird auf den menschlichen Faktor eingegangen.rderung in der Forschung wird von der Natur geliefert und zwar von unserer Biologie. Biologische Systeme sind unglaublich komplex und hoch dynamisch. In diesem Artikel wird das genauer erläutert.

Das hier ist eine direkte Fortsetzung von diesem Artikel. In diesem Artikel geht es hauptsächlich um den menschlichen Faktor und gleichzeitig ist dieser Artikel auch eine Abrechnung mit dem aktuellen Stand der Dinge in der akademischen Welt.

Problem Nr. 4: bei den Experimenten geht der biologische Kontext verloren.

Die Biologie ist ein wunderbar komplexes und extrem dynamisches System, in dem viele kleinere, aber genauso extrem dynamische und komplexe Unter-Systeme miteinander interagieren. Bei den Experimenten werden Untersuchungsgegenstände aber in der Regel isoliert analysiert und es ist oft ein stark vereinfachter Schnapschuss zum Zeitpunkt des Experimentes. Das bedeutet, dass die Ergebnisse eines Experiments oft eine stark abgespeckte Realität abbilden. Experimentiell bedingt, gehen andere biologische Unter-Systeme flöten. Das heißt, die bereits abgespeckte Realität wird je nach Prozedur und der verwendeten Technologie zusätzlich mehr oder weniger verzerrt. Die Physiker und Mathematiker würden sagen: die Ergebnisse spiegeln die Realität in guter Näherung ab. Obwohl der aktuelle technologische Fortschritt und vor allem die Fortschrittsgeschwindigkeit historisch gesehen wirklich einmalig und einzigartig sind, diese experimentiell bedingte Verzerrung wird nicht komplett eliminiert. Sie bleibt nach wie vor ein wichtiger Faktor, den man bei der Interpretation der Ergebnisse NIE ignorieren soll.

Die Replizierung der Ergebnisse, nicht nur die eigenen, sondern auch die der anderen Forschungsgruppen ist extrem wichtig! Doch viele tun es nicht. Die Wissenschaft basiert auf dem gegenseitigem Vertrauen, schön und gut. Eine Wiederholung der Experimente kosten zudem sehr viel Zeit und Geld. Aber ausgerechnet in der aktuellen Situation ist eine solche Wiederholung der Experimente und die Überprüfung der Ergebnisse wichtiger denn je geworden. Was an der aktuellen Situation so anders ist, beschreiben unten aufgelisteten Probleme Nr. 6 und 7.

Problem Nr. 5:  Labor-spezifische Optimierung

Es gehört zum Alltag eines Forschers, dass man viele Schritte einer zusammenhängenden Experimentenkette optimieren muss. Das Problem dabei ist, dass diese Optimierung in der Regel nur das eigene Labor und die eigene Laborgeräte betrifft und sie garantiert überhaupt nicht, dass die gleiche Optimierung auch in einem anderem Labor genauso funktionieren würde.

Wenn man eine Optimierung gedankenlos durchführt oder sie wird vom realitätsfernen Vorgesetzten aufgezwungen, ist das ein unnötiger Aktionismus, der Zeit und Ressourcen auffrisst. Eine zusätzliche Konsequenz dieser Optimierung ist quasi vorprogrammiert: sie verstärkt das Problem Nr. 4, die Verzerrung der Ergebnisse.

ABER: ist diese Optimierung, egal in welcher Form, in die Alltagsroutine eines ganzen Instituts integriert worden, fallen die Nachteile weniger schwer ins Gewicht und verbessert sogar die Produktivität und die Effizienz, weil das ganze Institut die gleiche Grundlage und die gleiche Prozedur verwendet. So kann es sogar passieren, dass ein ursprünglicher Aktionismus doch zu einer guten Optimierung wird, weil die Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen den Gruppen und Abteilungen reduziert wurden, auch wenn es manchmal tragikomisch ist. Ich sage nur dazu: wenn es geholfen hat, ist es dann egal. Denn, die Alternative ist eine innenbetriebliche Stagnation.

Wenn aber diese Optimierung auf der Ebene einer kleinen Forschungsgruppe stattfindet, kann die Verzerrung stärker ins Gewicht fallen, weil die Situation und somit die Optimierung von der Gruppe zur Gruppe, von der Abteilung zur Abteilung unterschiedlich ist. Und der Spaß beginnt! Wer in einer größeren Organisation/Firma/Behörde mit mehreren Abteilungen arbeitet, der/die weiß, was innerbetrieblich so alles abenteuerlich abläuft, der/die weiß, wovon ich rede... .

Problem Nr. 6: Zwang zur Selbst-Erhaltung

Die Mentalität in der akademischen Welt ist oft seltsam und irrational. Obwohl man meinen würde, dass die modernen Akademiker eine Quelle der sprudelnden Vernunft und Weisheit sein müssen. Nix da. Eine immer noch grassierende Plage ist die Haltung

  • dass Fehler der Mitarbeiter oder Studenten von ihrer Inkompetenz zeugen,
  • dass nur die positive Experimentenergebnisse die richtigen sind,
  • dass nur die wirtschaftlich wirksamen oder Karriere fördernde Projekten relevant sind,
  • dass die Doktoranden eine billige Arbeitskraft sind,
  • dass es kein Bedarf besteht, die Wissenschaft und die eigene Arbeit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, die Öffentlichkeit wird es eh nicht verstehen,
  • dass die Forschungsgruppen-Leiter nur eine Kommunikationsform haben: Ergebnisse, Ergebnisse, Ergebnisse, am besten schon gestern.

Die Forschung, vor allem die biomedizinische und pharmakologische Forschung sind hochkompetitiv. Die Zeiten, in der eine einzige Person eine bahnbrechende Arbeit geleistet hat, sind längst vorbei. Die moderne Forschung ist zu einer Mannschaftsdisziplin geworden, in der jede Person einen wichtigen Beitrag leistet und so alle an dem endgültigem Erfolg teilnehmen.
Die aktuelle Lage in der Forschung ist insofern häufig ein Paradoxon, dass man in einem Team arbeiten soll, bei einer gleichzeitigen starken Kompetition innerhalb dieses Teams. Pech gehabt, wenn man eine Gruppe erwischt, deren Mitglieder ihre Forschungsarbeit hauptsächlich als eine Plattform zur Sammlung der persönlichen Karriere-Trophäen betrachten. Oder man erwischt eine Gruppe, die aus professionelen Akademikern besteht, die eine klare wirtschaftlich motivierte Agenda haben. Die Forschung wird an diese Agenda halt angepasst.

Und wenn man noch ein Doktorand ist und somit noch ganz am Anfang steht? Was dann?

Man wird vom System gezwungen, sich anzupassen, Forschungsprojekte mit einem Ziel zu gestalten, andere professionelle Akademiker glücklich zu machen und je nach dem, welche Forschungsgruppe man erwischt, wird die berufliche Selbst-Erhaltung fast zum obersten Gebot, das alles anderes bestimmt.

Probleme Nr. 7: Finanzierungssystem - Fördergelder und die Drittmittelfinanzierung

die aktuelle Situation in der akademischen Forschung ist stark geprägt von Selbst-Interesse, Zwang zur Selbst-Erhaltung und einem krankhaften Publikationszwang.
Quelle: https://drindeevarmishra.files.wordpress.com/2017/02/publish_or_perish_by_velica-dao87ao-png.jpg?w=840



Wohl der größte Teil der Forschungsfinanzierung erfolgt durch die Fördergelder und die Drittmittel. In der Regel wird die Finanzierung für 3 Jahre bewilligt. Selbst das reicht oft nicht aus. Die Forschungsleiter/-innen verbringen mit mindestens die Hälfte ihrer Zeit damit, Forschungs- und Finanzierungsanträge zu stellen, anstatt diese Zeit in die eigentliche Forschung und in die Lehre reinzustecken. Aber das ist nicht das Hauptproblem dabei.

Das Hauptproblem dabei ist der Fakt, dass man eine Forschungsfinanzierung in der Regel für 3 Jahre bewilligt bekommt. 3 Jahre reichen nicht aus, um eine gute Forschung zu betreiben. Eine gute, neuartige Forschung braucht viel mehr Zeit. Das alles führt nur dazu, dass man bei der Forschung eindeutige Prioritäten setzen muss: Forschungsprojekte mit einem wirtschaftlichen Potential und einem Publikationspotential haben Vorrang. Die Folge ist: meistens nur die Experimente mit einem positiven Ergebnis haben Vorrang. Es muss laufend publiziert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben und somit mehr Chancen auf eine Finanzierung zu haben.

Forschungsprojekte werden hastig durchgeführt mit dem Ziel, die Ergebnisse möglichst schnell zu publizieren. Es besteht eine starke Tendenz, gezielt solche Experimente durchzuführen, deren Ergebnisse idealerweise einen neuartigen Charakter haben, was auf Kosten der eigentlichen Wissenschaft geht, mit dem Ziel, sie zu publizieren. Weil die wissenschaftliche Verläge Forschungsarbeiten mit einem neuartigem Charakter bevorzugen. Dieser Publikationszwang ist soweit gegangen, dass man bereits als frisch gebackener Uni-Absolvent bei den Bewerbegesprächen für Doktorandenstellen oft gefragt wird, ob man schon irgendwas publiziert hat. Wird man als Doktorand angestellt, ist man oft zur Selbst-Erhaltung gezwungen, Experimente so zu planen, dass man möglichst gestern die Ergebnisse hat, mit dem Ziel...richtig geraten...sie schnellstmöglich zu publizieren.

An dieser Stelle bin ich gezwungen aufzuhören und mir einen starken Beruhigungstee machen. Beim nächsten Artikel geht es wieder um die rein naturwissenschaftliche Aspekte, die auf mich wie eine Meditation wirken. Und hoffentlich auf euch auch. Bleibt dran.

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